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- Carlo Gesualdo: Fünf Responsorien
- George Benjamin: ‘ViolaViola’
- Luca Marenzio: solo e pensoso
- Giuseppe Verdi: Ave Maria aus den „Pezzi sacri“
- Michael Haydn: Divertimento Es-Dur für Viola, Cello und Kontrabaß
- Johann Sebastian Bach: Sechstes Brandenburgisches Konzert
Mitwirkende
Firmian Lermer, Pablo de Pedro, Elen Guloyan – Violen
Ursina Maria Braun und Philipp Comploi – Violoncelli
Alexandra Dienz – Kontrabaß
Das Interesse an der sogenannten „alten Musik“ und ihrer historisch informierten Aufführungspraxis, die Liebe zum Klang der Darmsaiten und eine große musikalische Abenteuerlust waren den sechs Musiker/Musikerinnen Anlaß, dieses außergewöhnliche Ensemble zu gründen, und ihm den Namen Las Teselas zu geben. was so viel bedeutet wie Mosaiksteinchen.
Mit musikalischer Abenteuerlust übertragen die Musiker ihre außergewöhnliche Ensemblebesetzung auf „alte Musik“ und sie widmen sich dabei besonders intensiv der vokalen Musik vergangener Jahrhunderte. Sie erklingt im instrumentalen Gewand unerhört neu und in anderer Textur. Aber ihre Abenteuerlust führt sie auch zur zeitgenössischen Musik, insbesondere dann, wenn sie für dieses Ensemble geschrieben wurde. Für unser Programm stellten die Künstler sakrale Vokalwerke konzertanten Instrumentalwerken gegenüber.
Firmian Lermer stammt aus einer österreichisch-bayerischen Familie, studierte in Wien bei Thomas Kakuska und dem Alban Berg Quartett, später bei Sandor Végh. Er ist Solobratschist der Camerata Salzburg und leitete über 25 Jahre das Streichsextett Hyperion Ensemble.
Firmian Lermer wird häufig eingeladen zu Kammermusikfestivals wie Lockenhaus, Schleswig Holstein Festival, Mecklenburg Vorpommern, Styriarte Graz, Sounding Jerusalem, Salzburger Festspiele. Er ist immer wieder zu Gast im Balthasar Neumann Ensemble und dem Concentus Musicus Wien.
Firmian Lermer unterrichtet Kammermusik an der Universität Mozarteum.
Der Spanier Pablo de Pedro studierte am Mozarteum in Salzburg bei Thomas Riebl und Veronika Hagen. Er ist Solobratschist im Concentus Musicus Wien, im Balthasar Neumann Ensemble (Thomas Hengelbrock), bei Europa Galante (Fabio Biondi) und beim Collegium Vocale Gent (Philippe Herreweghe). Er spielt die Bratsche im Edding Quartett und ist Professor für Historische Viola am Royal College of Music in London.
Elen Guloyan entstammt einer armenischen Musikerfamilie. Sie studierte zunächst an der Sayat Nova in Eriwan, dann an der Musikhochschule in Frankfurt bei Ingrid Zur und Jörg Heyer. Sie war Solobratschistin im Orchester des Schleswig Holstein Festivals, später am Deutschen Staatstheater. Jetzt spielt sie die Soloviola im Mozarteum Orchester Salzburg. Seit 2019 ist sie Mitglied des Constanze Quartetts.
Die Schweizerin Ursina Maria Braun studierte bei Thomas Grossenbacher, Clemens Hagen und Heinrich Schiff. Sie gewann Wettbewerbe wie den Concirdi Enrico Mainardi, den Bach-Wettbewerb Leipzig, Musica Antiqua Brügge u. a.. Sie ist begehrte Kammermusikpartnerin von Musikern wie Dorithee Oberlinger, Alfredo Bernardini oder Julian Pregardien. Ursina Braun wird als Solocellistin eingeladen zum Concentus Musicus Wien, zur Akademie für Alte Musik Berlin und zur Camerata Salzburg. Sie ist ebenso als Komponistin sehr erfolgreich.
Der Salzburger Cellist Philipp Comploi studierte bei Susanne Riebl am Mozarteum und bei Rudolf Leopold in Graz. Neben seiner Konzerttätigkeit mit dem Trio Alba ist Philipp Comploi engagiert im Ensemble La Folia, in der Wiener Akademie und beim Quadriga Consort.
Die Tirolerin Alexandra Dienz begann ihr musikalisches Leben in der Volksmusik, studierte dann am Konservatorium Innsbruck und in Oberschützen bei Johannes Auersperg Kontrabass.
Sie widmet sich sowohl der alten wie der zeitgenössischen Musik in Ensembles wie Concentus Musicus Wien, Il Giardino Armonico, Klangforum Wien, Akademie für Alte Musik Berlin und im Ensemble Die Knödel.
Zum Programm
Don Carlo Gesualdo
Firmian Lermer: „Zu Beginn fünf der berühmten Responsorien von Carlo Gesualdo, dem rätselhaftesten Komponisten seiner Zeit, der durch seine Rückungen und chromatischen Kühnheiten nie gehabte Empfindungen auslöst. Ein dunkle Welt der Passion Christi und seiner persönlichen Leidenserfahrung.“
Don Carlo Gesualdo, Graf von Consa, Fürst von Venosa, (1566 – 1613) wurde in Neapel oder in der näheren Umgebung geboren. Sein Vater Fabrizio war der amtierende Fürst von Venosa, einer kleinen süditalienischen Stadt in der Basilicata. Seine Söhne Luigi und Carlo wurden offenbar nach den Empfehlungen Baldassare Castiogliones erzogen, der in seinem bedeutenden Traktat Il libro di castiglione (Das Buch des Hofmannes/Höflings) die Jagd und die Musik als Grundpfeiler einer höfischen Erziehung postuliert hatte. Carlo genoss eine umfassende musikalische Ausbildung mit Kontrapunkt- und Kompositionsstudien, sowie mit Lauten- und Gesangsunterricht. Mit dem Tod des Großvaters und seines Bruders Luigi 1584 rückte Carlos zum einzigen männlichen Erben auf und dieser sollte verheiratet sein.
Die politisch begründete Eheschließung mit seiner Cousine Maria d’Avalos 1586 führte bereits vier Jahre später in die Katastrophe: Carlo Gesualdo und Freunde gaben am 26. Oktober 1590 vor, auf eine mehrtägige Jagd zu gehen, kehrten aber schon am Abend zurück und überraschten, wie erwartet, seine Frau und ihren Liebhaber, Fabrizio Carafa, Herzog von Andria. Carlos Frau, ihr Liebhaber und eine kleine Tochter, deren Vaterschaft vermutlich nicht geklärt war, wurden getötet.
Die Akten der gerichtlichen Untersuchung charakterisieren Gesualdo „als einen Täter aus Leidenschaft“ und erwähnen nicht, dass dieser möglicherweise einem Giftattentat des Liebespaares zuvorkommen wollte. Carlo floh von Neapel nach Gesualdo, auch wenn die Tat nach damaligen Recht [Anm.: ‘Ehrenmord unter Adligen’] keine Strafe nach sich ziehen konnte. Möglicherweise fürchtete er aber die Rache der D‘Avalos. Dass nun unmittelbar nach der Tat ein psychisches Leiden (‘melancholia’) begann, oder pathologische Verhaltensweisen einsetzten, wie gelegentlich behauptet wird, ist nicht belegt und erscheint in Anbetracht der Ereignisse der folgenden Jahre eher unwahrscheinlich. In diesem Zusammenhang wird auch häufig auf das Altargemälde in der Kapelle Santa Marie delle grazie verwiesen, das auch das einzig authentische Bildzeugnis Gesualdos darstellen soll. In der Tat gab Gesualdo den Bau der Kapelle im Jahre 1592 in Auftrag. Das Altarbild entstand aber wohl später. „Es zeigt vermutlich nicht Maria d’Avalos, sondern Gesualdos zweite Frau, Leonora d’Este, und ist wohl als Reaktion auf den Tod des gemeinsamen Sohnes Alfonsino zu sehen. Es belegt somit auch nicht eine weitere, gern als wahrscheinlich hingestellte Bluttat, nämlich den Mord an einem angeblichen Kind Maria d’Avalos und Fabrizio Carafas.“ (*1, S. 833)
Carlo Gesualdo blieb fast vier Jahre lang nach der Bluttat auf Schloss Gesualdo. Im März 1593 brach er aber mit einem umfangreichen Tross, einschließlich seiner Musiker, nach Ferrara auf, wo der Ehevertrag mit Cesare d’Este, dem Bruder seiner zweiten Frau, Leonora d’Este, unterzeichnet wurde. Der Aufenthalt in Ferrara dauerte zwei Jahre. Gesualdo brachte bereits Druckvorlagen für zwei fünfstimmige Madrigalbücher mit, die der Ferraraer Hofdrucker Baldini herausbrachte. Buch drei und vier folgten 1595. Auch Gesualdos Madrigalbücher fünf und sechs datieren in diese Jahre in Ferrara, wurden aber erst 1611 durch G. G. Carlino an Gesualdos Hof gedruckt, dem er hierfür eigens eine Druckerei einrichtet hatte. Schon vor der Reise nach Ferrara verehrte Gesualdo den dortigen Hofcembalisten Luzzasco Luzzaschi. Übereinstimmungen in mehreren Madrigalbüchern deuten darauf hin, dass Gesualdo in Ferrara „als Initiator und Mäzen einer Reihe mit innovativen Ferrareser Madrigale auftrat.“ (*1, S. 835) Es war ein befruchtender Austausch an Gedanken und Erfahrungen. Gesualdo hörte die Hofmusik, die berühmten Nonnenchöre von San Silvestro und San Vito. Er selbst wurde als hervorragender Lautenist gefeiert. Er verbrachte noch Weihnachten 1594 in Florenz und verpflichtete dann auf der Heimreise in Rom den berühmten Sänger Francesco Rasi.
Nach dem Aufenthalt in Ferrara veranlasste Gesualdo nur noch den Druck von fünf Büchern: 1603 die beiden Motettendrucke, 1611, wie bereits erwähnt, die Madrigalbücher fünf und sechs, sowie den Tenebrae-Zyklus mit den Responsorien für die Nocturnen von Gründonnerstag bis Karsamstag.
Weitere Veröffentlichungen in den Folgejahren waren zum Teil Raubdrucke und wer den Partiturdruck aller sechs Madrigalbücher 1613 bei Molinari in Genua veranlasste, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Weitgehend im Dunkeln bleiben auch die letzten Jahre Gesualdos, der sich immer mehr zurückzog. Die ausführlichste, wenngleich auch sehr einseitige und subjektive Quelle stellen die Briefe seiner zweiten Frau Leonora an ihre Brüder dar. Das Verhältnis der beiden Eheleute war offenbar innerhalb weniger Jahre auch völlig zerrüttet und die Brüder leiteten sogar die Scheidung durch den Papst in die Wege. Gesualdo übergab die Verwaltung der Besitztümer seinem Sohn Emanuele aus der ersten Ehe. Ob hierfür gesundheitliche Probleme ausschlaggebend waren, ist nicht belegt. Gesualdo war vermutlich Asthmatiker. Wenige Zeugnisse, wonach er an einer Geisteskrankheit gelitten habe, sind nicht ausreichend belegt und glaubwürdig. Anfang des 17. Jahrhunderts beauftragte er den Maler Giovanni Balducci, für seine Kapelle ein Altarbild zu malen: Il perdono di Carlo Gesualdo [Die Vergebung des Carlo G.] Auf diesem Bild sind die Auferstehung Christi, die Hölle, links unten Gesualdo und auf der gegenüberliegenden Seite seine Frau Leonora d‘Este zu als Bittsteller abgebildet. Sein Onkel, Kardinal Carlo Borromeo, steht für ihn bittend hinter ihm.
Gesualdo starb nur wenige Wochen nach seinem Sohn Emanuele am 8. September 1613 aus unbekannter Ursache.
Seine Biografie ist bis heute lückenhaft und so ist es nicht verwunderlich, dass hierdurch immer wieder neuen Spekulationen Raum gegeben ist.
Die musikhistorische Einschätzung der Werke von Carlo Gesualdo ist im Vergleich zu anderen Komponisten sehr kontrovers. Sicher spielte die Bluttat von 1590 auch hierbei eine Rolle.
Seine Zeitgenossen sahen in ihm einen musikalischen Erneuerer und es ließen sich in den Werken von Sigismondo dell’India, Salomone Rossi und Antonio Cifra kompositorische Parallelen im Sinne gegenseitiger Anregungen aufzeigen. Musikhistoriker heben ganz besonders Gesualdos Einfluss auf Girolamo Frescobaldi hervor, dessen instrumentales Repertoire im Haus des Kardinals Francesco Barberini zu einem großen Teil aus den Madrigalen Gesualdos bestand.
Gesualdos Reputation erlosch im siebzehnten Jahrhundert mit dem wachsenden Erfolg einer neuen Musikgattung, der Oper.
Der englische Organist, Musikhistoriker und Publizist Charles Burney (1726 – 1814) fällte in seinem Hauptwerk, A General History of Music, dessen erster Band 1776 erschien, ein vernichtendes Urteil über Gesualdos Musik. Das Tagebuch einer ersten Musikalischen Reise durch Frankreich und Italien, Grundlage der General History, zusammen mit den Aufzeichnungen einer zweiten Reise durch Deutschland und die Niederlande, wurde bereits in 1772 in Hamburg herausgegeben und dürfte die Rezeption der Werke Gesualdos nachhaltig negativ beeinflusst haben. Burney, eine absolute, schon international anerkannte Autorität, rügte vor allem am Beispiel von Gesualdos Ardita zanzaretta die ungewöhnlichen Klangverbindungen und die exzessive Chromatik mit absurden Fortschreitungen in parallelen Stimmen, nannte ihn einen Dilettanten im negativen Sinn und schließlich attestierte er, zusammen mit späteren Kritikern, die Unaufführbarkeit der Werke Gesualdos.
Erst im 19. Jahrhundert leiteten die deutschen Musikhistoriker August Wilhelm Ambros (1816 – 1876) und Hugo Riemann (1849 – 1919) eine Wende ein. Sie sahen in Gesualdo aber vorwiegend nur den Experimentator.
Es war schließlich nicht die Musikwissenschaft, die dem Komponisten Gesualdo die Rehabilitation und Anerkennung gewährte, sondern es waren Komponisten:
Paul Hindemith bezieht sich 1958 im Vorwort seiner Madrigale auf Gesualdo und schließlich leitete Igor Strawinsky 1960 mit seinem Monumentum pro Gesualdo di Venosa ad CD annum, einer Orchesterbearbeitung der Madrigale Beltà poi che t‘assenti und Poichè l‘avida sete und der Ergänzung dreier Motetten eine gewisse Gesualdo-Renaissance ein.
Es folgten verschiedentlich Kompositionsaufträge, Bearbeitungen und am aufsehenerregendsten waren natürlich die Opern, die Leben und Werk Gesualdos aufgriffen und einem breiteren Publikum bekannt machten:
So schrieben Alfred Schnittke 1994 eine Oper Gesualdo in sieben Bildern, Franz Hummel 1996 eine gleichnamige Oper in zwei Akten, 2004 folgte die Oper von Luca Francesconi Gesualdo considered as a murderer und schließlich 2010 die Oper Gesualdo in drei Akten von Marc-André Dalbavie. Besondere Erwähnung verdient noch das Musikdrama Maria di Venosa von Francesco d‘Avalos, einem Nachfahre der ermordeten Maria d‘Avalos.
Der Regisseur Werner Herzog drehte 1995 den Film Gesualdo – Tod für fünf Stimmen.
Abschließend noch ein paar Anmerkungen zum Begriff der Responsorien.
Dieser taucht mit einer musikalischen Bedeutung erstmals bei den Kirchenvätern des 4. Jahrhunderts auf und bezeichnet dort den Kehrvers, mit dem das Volk auf die vom Vorsänger gesungenen (Psalm-)Verse antwortete. In der klösterlichen Literatur bezeichnete der Begriff dann bald nicht nur den Kehrvers, sondern schon einen ganzen Gesang. Eine unvorstellbare Fülle von Vorschriften regelte im Verlauf der Jahrhunderte, wo und wie Responsorien im Offizium zu singen waren. Die Texte stammten aus den Psalmen, aus Büchern der Heiligen Schrift, aus Märtyrerakten, aber es gab im Mittelalter auch Neuschöpfungen. Die Responsorien hatten einen hohen Stellenwert in der Liturgie und so ist es nicht verwunderlich, dass „die Verse von Responsorien an hohen Feiertagen ein bevorzugter Ansatzpunkt für die Entwicklung der Mehrstimmigkeit waren… (*1, S. 193)
… Als eine Sondertradition entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die mehrstimmige Vertonung der Weihnachts- und insbesondere der Karwochenresponsorien. Vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts stellt der Zyklus der Karwochen-Responsorien eine der wichtigsten Gattungen der Katholischen Kirchenmusik dar, deren Höhepunkt die Vertonungen von Tomás Luis de Victoria (Offizium hebdomadae sanctae, Rom 1585), Marcantonio Ingegneri (Responsoria hebdomadae sanctae, Venedig 1588) und schließlich von Carlo Gesualdo (Responsoria,1611) bezeichnen.“ (*2, S.199)
Kirchenmusikalische Reformansätze des 18. Jahrhunderts, ausgehend von Alessandro Scarlatti, Leonardo Leo, Nicolò Jommelli einschließlich Michael Haydn, haben mit Vorliebe auf diese Gattung zurückgegriffen. Und … „das Musica-sacra-Ideal der deutschen Romantik hat sich insbesondere an den Vertonungen der Responsorien und des Miserere der Karwochenliturgie durch die ‘alten Italiener’ entzündet.“ (*2, S.199)
John Benjamin – ViolaViola
Darauf folgt ein zeitgenössisches Stück für nur zwei Violen, John Benjamins ViolaViola.
Firmian Lermer: Es nimmt viele Anleihen in der ‘alten Musik’ in Textur und Mehrstimmigkeit auf. Wenn der Zuhörer die Augen schließt, glaubt er fünf Stimmen zu hören. Ein Auftragswerk für ein Festival in Tokyo, in einem riesigen Konzertsaal, den es mit nur zwei Bratschen zu füllen galt. Ein Feuerwerk virtuoser Vielstimmigkeit!“
Der englische Komponist, Dirigent, Pianist und Lehrer George William John Benjamin wurde 1960 in London geboren. Seine außergewöhnliche musikalische Begabung zeigte sich sehr früh: lange bevor er wusste, wie man Musik notiert, fing er schon an zu ‘komponieren’. Als Zweijähriger dachte er sich vor allem vor dem Zubettgehen Lieder aus. Jahre später, als er von Walt Disney Fantasia gesehen hatte, entsorgte er seine Popmusik-Platten und widmete sich ausschließlich dem Komponieren. In einem Gespräch anlässlich seiner Einladung zu den Berliner Philharmonikern zum Composer in Residence in der Saison 2018/19 sagte er:
„Ich habe mich in die Musik verliebt und bin ihr verfallen, als ich sechs oder sieben war. Kinder sehen ein Fußballspiel und wollen Fußball spielen, sie sehen Feuerwehrautos und wollen Feuerwehrmänner werden. Meine einzige oder mit weitem Abstand größte Leidenschaft war Musik, Musik, Musik. Ich habe gelernt, Musik zu spielen als Pianist, Oboist, Flötist, Perkussionist, ich habe auch schon sehr früh dirigiert. Aber vor allem wollte ich Musik erfinden. Ich habe komponiert, bevor ich wusste, wie man sie aufschreibt.“
Zunächst erhielt Benjamin privaten Kompositionsunterricht. Mit fünfzehn Jahren verließ er London und ging nach Paris, wo er Lieblingsschüler von Olivier Messiaen am Pariser Konservatorium wurde. Dieser urteilte, Benjamin habe ein Talent wie Mozart. Der Interviewer in Berlin fragte Benjamin dann, ob solch ein Lob nicht auch eine Bürde sei?
Benjamin: „Nein, ich liebte Messiaen, seinen Enthusiasmus und seine Großzügigkeit. Sein Lob hat mich sehr berührt, aber ich konnte es nicht ernst nehmen.“
Von 1978 – 1982 studierte George Benjamin dann wieder in England am King’s College in Cambridge bei Alexander Goehr. Erste internationale Aufmerksamkeit errang er bereits als Student mit seinem ersten sinfonischen Werk: Ringed by the Flat Horizon.
Danach entstanden in rascher Folge umfangreiche Kompositionen: Sudden Time für großes Orchester, Three Inventions für Kammerorchester, Antara für Ensemble und Elektronik. 2004 schrieb er Dance Figures – Nine Chreographic Scenes und seine erste (Kammer-)Oper Into the Little Hill wurde 2006 uraufgeführt. Sein Interesse konzentrierte sich dann immer mehr auf die Oper und 2012 gelang ihm mit dem Drama Written on Skin auf diesem Gebiet der große durchschlagende Erfolg. Die Uraufführung fand beim Festival d’Aix-en-Provence statt und seither wurde das vielschichtige Werk über einen grausamen Gattenmord an über zwanzig Bühnen gespielt. 2018 folgte Lessons in Love and Violence und während ich an diesem Artikel schreibe, ging Anfang Juli 2023 die Uraufführung des Dramas von Picture a Day Like This, wieder in Aix-en-Provence, mit großem Erfolg über die Bühne.
Neben seiner kompositorischen Tätigkeit entfaltete er, vornehmlich als Dirigent, eine vielfältige praktische Tätigkeit. Er arbeitet regelmäßig mit renommierten Orchestersn zusammen und beschränkt sich dabei nicht nur auf eigene Kompositionen, sondern leitet auch (Ur-)Aufführungen anderer Komponisten.
2017 wurde er von der englischen Königin in den Adelsstand erhoben und im Februar 2023 wurde er in München mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet.
Über das Werk, das wir von ihm hören werden sagte George Benjamin bei anderer Gelegenheit:
„Viola,Viola wurde von der Tokyo Opera City Kulturstiftung zur Eröffnung ihres Konzertsaals am 16. September 1997 in Auftrag gegeben. Künstlerischer Direktor war zu dieser Zeit Toru Takemitsu (1930 – 1996). Ich war natürlich glücklich, auf diesen Vorschlag meines Freundes Takemitsu mit einer Komposition antworten zu können. Im Februar 1996 haben wir sehr um ihn getrauert. Es war ausschließlich seine Idee, für seine Freunde Yuri Baschmet [Anm.: er spielte auch schon bei uns] und Nobuko Imai ein Duo für zwei Violen in Auftrag zu geben.
Meine ersten Gedanken, wie ich die vielen kompositorischen Probleme lösen könnte, die in diesem unkonventionellen Ausdrucksmittel steckten, mögen die der Viola eigene Rolle nahegelegt haben als eine melancholische Stimme, die im Schatten verborgen ist. Eines Tages jedoch, drängte sich ein ganz anderer instrumentaler Charakter auf – feurig und energisch.
Manchmal war es mein Wunsch, eine fast orchestrale Tiefe und klangliche Vielfalt hervorzuzaubern. Dies ist verantwortlich für die Tatsache, dass die beiden Violastimmen praktisch miteinander verflochten sind – tatsächlich aber unabhängige Stränge sind, die dem kantablen Zentrum des Stücks zustreben. Die angedeutete Harmonie soll so klangvoll wie möglich sein und die Textur soll manchmal vier oder mehr Stimmen für längere Perioden
aufrechthalten.“
Ich bin sicher, dass auch Ihnen dieses durchaus eingängige Werk gefallen und Freude bereiten wird.
Gefragt nach seinem Wunschpublikum sagte George Benjamin einmal: „Die Menschen können jung oder alt sein. Sie sollten bitte ruhig sein. Sie sollten zuhören, mit offenen Herzen und offenem Sinn. Und neugierig sein.“
Luca Marenzio
Lermer: Darauf nun eine sehr spannende Gegenüberstellung zweier Vokalwerke, die zwar Jahrhunderte auseinanderliegen, sich aber der gleichen Technik bedienen:
Luca Marenzio baut sein solo e pensoso auf einer rein chromatischen Tonfolge des Sopranes. Und Giuseppe Verdi benutzt für sein Ave Maria aus den Pezzi sacri eine enigmatische Tonleiter seines Verlegers Ricordi.
Ricordi hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben für junge Komponisten, deren Einsendungen waren allerdings recht enttäuschend, so dass schliesslich der alte Verdi der Welt noch einmal zeigen wollte, wie man komponiert. Knapp und großartig!
Luca Marenzio (1553 oder 1554 – 1599) war Sänger und Komponist, der schon mit seinen ersten Madrigalbüchern zu Beginn der 1580er Jahre in die Gruppe der international angesehensten Komponisten weltlicher Vokalmusik vorstieß. Das Wort international ist nicht zu hoch gegriffen, denn bereits 1590 erschienen in London zwanzig seiner Madrigale in englischen Übersetzungen, die dann für die frühen englischen Madrigale Vorbild wurden. Seine Faszination auf die jungen englischen Komponisten war so groß, dass John Dowland 1595 mit ihm korrespondierte, um bei ihm in Rom zu studieren. Leider kam es aber nie zu einer Begegnung.
Bei der Verbreitung seiner Kompositionen spielten die sogenannten Kontrafacta eine bedeutende Rolle: den weltlichen Madrigalen wurden unter Beibehaltung der Komposition geistliche Texte unterlegt. Diese waren in Italien, Deutschland und England sehr beliebt. Durch Abschriften waren diese Kontrafacta von Marenzio lange auch in der Kirchenmusik jener Konfessionen zu finden, die das Latein als Gottesdienstsprache früh abgeschafft hatten.
Giulio Cesare Monteverdi, Bruder des berühmten Claudio, rechnete Marenzio in seinem Traktat Dichiaratione von 1607 nicht der prima pratica, sondern der seconda pratica zu, weil es weniger um satz- oder notationstechnische Fragen ging als vielmehr um ein neues Wort-Ton-Verhältnis. Unter diesem Aspekt ist Marenzio tatsächlich der Komponist, der die Unterordnung des Wortes unter die Musik, die Verflechtung von Text, melodischer Linie und musikalischem Zusammenklang in bis dahin kaum bekannter Weise verwirklichte und nicht zuletzt auch auf Claudio Monteverdi einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt hat.
Maurenzio griff in die damalige heftige Diskussion um die ‘neue’ Musik aber nicht mit Traktaten ein, sondern durch seine Kompositionen.
Im zweiten Madrigalbuch von 1581 nahm er in Petrarcas Anfangszeile der Liebesklage „O voi che sospirate a miglior‘ notti“ (Oh, die ihr seufzt nach bessern Nächten) eine kleine aber folgenreiche Änderung vor: statt notti heißt es nun note. Damit wandte er den Textinhalt ins Musiktheoretische: „Oh, die ihr seufzt nach bessern Noten“.
Er antwortet damit auf einen Diskurs des Musiktheoretikers Gioseffo Zarlino, der für die Modi (die Tonarten), die Reinheit und den Kadenzverlauf genau vorschreiben wollte, um die antike Tradition zu bewahren. Maurenzio durchbricht dieses strenge Schema, vermeidet im weiteren Verlauf daraus resultierende, absurde harmonische Entwicklungen und zeigt, ausschließlich mit Tönen argumentierend, konkret, wie im oben zitierten Beispiel,
Wege zurück zur Ausgangstonart und allgemeine Perspektiven für die Komposition in der Zukunft. Zwar wählte er die Modi nach den Tonartencharakteristiken der Zeit aus, aber seine Souveränität erlaubte ihm auch, bis ins letzte Detail „wortgezeugte“ Kompositionen zu schreiben: wenn Zahlwörter im Text vorkamen, wie prime piaghe oder due rose, so wählte er als Tonart den ersten oder den zweiten Modus. Wie alle Komponisten seiner Zeit bediente er sich der Solmisation, d. h. er setzte geeignete Textstellen in Noten um: so wird aus dem Text „Se la mia vita“ die Solmisation sol-la-mi (g-a-e), ein Motiv, das wiederum zur Tonart Hypomixolydisch führt. Auch machte er ausführlichen Gebrauch der sogenannten Augenmusik, indem er im Text erwähnte Gegenstände mit den Mitteln der Notation abbildet: auf den Text „di cinque perle“ notiert er als Abbild der „fünf Perlen“ fünf Semibreven (heute halbe Noten) auf der Notenlinie.
Zur Textumsetzung bedient sich Marenzio aller nur denkbaren Möglichkeiten, so in der Kombination der Stimmen und ihrer Führung in zum Teil extreme Lagen, in der Themenbildung, in ungewöhnlichen Intervallen, in der rhythmischen Durchformung und nicht zuletzt in der Auswahl der Kadenzen und in ganz bewussten Regelverstößen. In seinen Madrigalen behandelt er die Musik gleichwertig mit der Sprache und erzielt damit unerhört dichte Kompositionen im Wort-Ton-Verhältnis. Dies erschließt sich oft nur durch eine gründliche Analyse und seine Musik blieb somit oft auch einem kleinen Kreis von literarisch und musikalisch hoch Gebildeten vorbehalten. Dies erklärt vielleicht auch den geringeren Bekanntheitsgrad im Vergleich zu seinen Zeitgenossen.
Marenzios früher Werdegang ist schlecht dokumentiert. Er wurde in der Nähe von Brescia geboren und wurde später Chorknabe am dortigen Dom und erhielt hier vermutlich seine musikalische Ausbildung bei Giovanni Contino.
Mitte der 1570er Jahre verließ Marenzio Mantua und kam an den Hof des musikinteressierten Kardinals Cristoforo Madruzzo in Rom, der Marenzio schnell in das römische Musikleben einführte. Hier erschien 1577 auch seine erste Komposition: das Madrigal Donna bella e crudele.
Nach dem Tod Madruzzos wechselte Marenzio 1578 in den Dienst des eng mit diesem befreundeten Kardinals Luigi d‘Este, dem er zwei Jahre später sein erstes Madrigalbuch widmete. In rascher Folge erschienen nun noch zehn weitere Madrigalbücher, ein Buch Motetten, sowie drei Bücher mit dreistimmigen Canconetten und Villanellen. Bis zum Tod des Kardinals Luigi d‘Este im Dezember 1586 erschienen ungefähr zwei Drittel des im Druck erschienen Gesamtschaffens von Marenzio. Wie intensiv der geistige Austausch in diesen Kreisen damals sein konnte, belegt die Reise Marenzios im Gefolge seines Dienstherrn nach Oberitalien 1580/81, wo dieser seine Geschwister Alfonso, Leonora, die spätere Frau Gesualdos, und Lucrezia in Ferrara besuchte. Wie den Widmungen an Alfonso d‘Este zu entnehmen ist, wurden bei dieser Gelegenheit auch Marenzios Werke am Hof von Ferrara aufgeführt. Die Reise führte ihn kurz nach Coccaglio, Venedig, schließlich nach Verona, wo er die Accademia Filarmonica besuchte und der er sein zweites Madrigalbuch widmete. Zuletzt kam er noch einmal nach Mantua, wo die Gonzagas wiederholt versuchten, ihn als Leiter einer Privatkapelle zu verpflichten. Dieses Vorhaben scheiterte unter anderem auch am Einspruch Giovanni Palestrinas, der Maurenzio merkwürdigerweise die Fähigkeit hierfür absprach. Ebenso erfolglos war schon der Versuch seines Dienstherrn, Kardinal Luigi d‘Este, ihm 1579 eine freigewordene Stelle im päpstlichen Sängerkollegium zu verschaffen.
Unaufhaltsam war dagegen die Verbreitung seiner viel gerühmten Werke. Bereits in den frühen 1580er Jahren brachten Pierre Phalèse und Jean Bellère in Antwerpen Nachdrucke mehrerer Madrigale heraus. Auch kam Morenzio die Großzügigkeit seines Dienstherrn sehr zu Gute, der nicht eifersüchtig seinen angesehenen maestro di cappella abschirmte, sondern ihm erlaubte, auch für andere Auftraggeber zu komponieren, solange er kein festes Dienstverhältnis einging. Vielleicht räumte Luigi d‘Este seinem Kapellmeister diese zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten ein, weil sein Haus chronisch defizitär war und Maurenzio sich oft über ausstehende Gehaltszahlungen beklagen musste.
In den Jahren 1584 und 1585 erschienen nicht weniger als zehn zum Teil sehr umfangreiche Individualdrucke mit Madrigalen, Messen, Motetten, Canzonetten und Villanellen.
Schon vor dem absehbaren Tod seines Dienstherrn im Dezember 1586 versuchten die Gonzage wieder, Marenzio an ihren Hof zu holen. Nun aber stellte Marenzio unerfüllbare Bedingungen, vermutlich weil er immer noch hoffte, einmal ins päpstliche Sängerkollegium aufgenommen zu werden.
Nach weiteren Aufenthalten in Venedig und Verona kehrte Marenzio im November 1589 nach Rom zurück und spätestens ab 1593 bei Kardinal Cinzio Aldobrandini im Vatikanpalast. In den Akademien dieses Kardinals hatte er Kontakt zu den namhaftesten Dichtern Italiens.
Aldobrandini war als einer der zwei vatikanischen Staatssekretäre u. a. auch für die Kontakte zum polnischen Königshof zuständig und dürfte die Anstellung Marenzios am Hof Sigismunds III. in Krakau bzw. Warschau vermittelt haben. Als frühester Beleg für Marenzios Anwesenheit in Krakau gilt ein Vermerk der polnischen Hofverwaltung vom März 1596, der die Auszahlung von Reisespesen an zweiundzwanzig italienische Musiker und ihren Kapellmeister erwähnt. Über die Dauer des Aufenthalts wissen wir nichts Genaues. Der früheste Hinweis auf seine Rückkehr ist die Widmung des achten Madrigalbuchs vom 20. Oktober 1598 in Venedig.
Man vermutet, dass sich Luca Marenzio in den letzten Monaten seines Lebens bei seinem Bruder in Rom aufhielt, der dort als Agent des Florentiner Hofs im Bereich der Villa Medici auf dem Monte Pincio lebte. Am 22. August 1599 starb Marenzio in den Gärten der Villa Medici und wurde in der nahegelegenen Kirche San Lorenzo in Lucina beigesetzt.
Der bedeutende Musikhistoriker Alfred Einstein zählte Luca Marenzio zusammen mit Carlo Gesualdo und Claudio Monteverdi „zu den Vollendern des italienischen Cinquecento-Madrigals.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Artikel einen kleinen Einblick in das bewegte Leben dieses bedeutenden und doch so unbekannten Komponisten und Sängers geben. Ich stützte mich hierbei auf den Beitrag von Undine Wagner im Personenteil, Band 11, des MGG, Musik in Geschichte und Gegenwart.
Giuseppe Verdi
Als Gegenstück nun von Giuseppe Verdi (1813 – 1901) das Ave Maria sulla scala enigmatica, das Verdi 1889 für ein Gesangsquartett (Sopran, Alt, Tenor und Bass) a cappella geschrieben hat und 1897 noch einmal überarbeitete.
In der sechzehn Jahre langen Opern-Kompositionspause von 1871 nach Aida bis zum Otello 1887 schrieb Verdi 1873 sein einziges Streichquartett und das Requiem, das 1874 uraufgeführt wurde. Im übrigen kehrte er zurück zu seinen Anfängen als Kirchenmusiker: 1879/80 entstanden ein Pater noster und bereits ein Ave Maria für Singsgtimme und Streichorchester für ein Wohltätigkeitskonzert, 1894 Pietà Signor! für Tenor und Klavier für die Erdbebenopfer von Sizilien und Kalabrien.
Zunächst völlig unabhängig voneinander schrieb Verdi 1887 – 88 Laudi alla Vergine Maria für vier weibliche Solostimmen auf einen Text von Dante Alighieri. Veröffentlicht 1898 als Nummer 3 der Quattro pezzi sacri.
Eventuell schon 1895, sicher aber 1896 – 97 folgte ein Te Deum mit großem Orchester und Doppelchor, veröffentlicht 1898 als Nr. 4 der Quattro pezzi sacri.
1896 – 1897(?) schrieb er auch das Stabat mater für Chor und großes Orchester, 1898 veröffentlicht als Nr. 2 der Quattro pezzi.
Diese drei Kompositionen wurden zunächst zusammengefasst und ohne das Ave Maria sulla scala enigmatica aufgeführt, obwohl dieses im Buch des Verlegers Giulio Ricordi in der Reihe der vier geistlichen Stücke an erster Stelle steht. Ursprünglich wollte Verdi diese Stücke alle nicht veröffentlichen. Er dachte, dass sie in ihrer künstlerischen Verfeinerung und Empfindung zu persönlich seien. Sofern es nach Verdi ging, gab es eigentlich auch nur drei pezzi sacri. Verdi soll das Te Deum am meisten geliebt und sogar den Wunsch geäußert haben, dass man ihm die Partitur ins Grab lege.
Am 7. April 1898 fand die Uraufführung unter Leitung von Paul Taffanel in der Grand Opéra in Paris statt, ohne das Ave Maria, die italienische Erstaufführung fand am 26. Mai 1898 unter Leitung von Arturo Toscanini in Turin statt, ebenfalls ohne das Ave Maria. Im Winter 1898/99 wurden die geistlichen Stücke bereits in Gloucester, Norwich, Wien, Berlin, Dresden, München und Hamburg und Mailand aufgeführt. Aber erst seit dem Konzert der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde unter Leitung von Richard Perger am 13. November 1898 hat es sich eingebürgert, den Zyklus mit dem Ave Maria aufzuführen.
Die rätselhafte, siebentönige Tonleiter, die Verdis Ave maria sulla scala enigmatica zu Grunde liegt, wurde von dem Komponisten und Bologneser Musikprofessor Adolfo Crescentini erfunden. Sie wurde am 8. August 1888 in der Gazzetta musicale di Milano des Verlegers Giulio Ricordi mit einer Aufforderung an die Leser veröffentlicht, sie zu harmonisieren. Ricordi soll von den eingesandten Harmonisierungen enttäuscht gewesen sein und bat daher Giuseppe Verdi, zu zeigen, wie man das macht.
Verdi führte die Stimmen in vierfach wechselnder Lage entlang der Tonleiter und die Harmonie sollte den Vokalsatz nie stören, selbst wenn sie weit verzweigt ist. Viktor Baerwald schreibt in seiner umfangreichen Verdi-Biografie: „Da die scala enigmatica nicht ausreichte, um sämtliche Worte des Ave Maria zu erfassen, führte der Meister sie als cantus firmus streng kontrapunktisch durch die vier Stimmlagen, wobei sie vom Baß in den Alt hinüberwechselt und dann vom Tenor in den Sopran, dabei um eine Quarte höher transportiert. Ein besonderes Meisterstück aber ist, durch eine raffinierte Schlußkadenz wieder den Ausgangston zu erreichen. Ein gelungener Abschluß. Es ist die kürzeste, aber am schwersten zugängliche Komposition, eben, wie Verdi sagte, eine ‘Kraftprobe’ und keine wahre Musik, und nur ein Könner wie er, der die weitesten Grenzen der Harmonik kennt, der Wort und Ton in einem solchen Tonsatz meisterhaft verarbeiten und verbinden konnte, war fähig, eine solche ‘Denksportaufgabe’ gut zu lösen.“ (*3, S.315)
Vor der Veröffentlichung als erstes Werk der pezzi sacri überarbeitete Verdi die Komposition noch einmal gründlich.
Michael Haydn
Lermer: Nach der Pause dann instrumentale Unterhaltung, ein wunderbares, leichtfüßiges Divertimento von Michael Haydn für Viola, Cello und Bass.
Seltene Besetzungen boten den Komponisten von jeher die Möglichkeit, losgelöst von den Zwängen der klassischen Vorbilder zu experimentieren.
Hierzu zählt auch dieses dreisätzige Trio für Viola, Cello und Kontrabass von Michael Haydn (1737 – 1806). Das Manuskript dieses kurzweiligen Trios wurde erst 1970 zufällig in London in der Sammlung des Parry Room entdeckt.
Zur ausführlichen Biographie des jüngeren Bruders von Joseph Haydn verweise ich auf meinen Artikel im Heft 2021.
Das Werk beginnt mit sechs Variationen über ein Adagio-Thema, wobei die Viola immer dem Cello antwortet. Mit jeder Variation steigert sich die Virtuosität und dies ist ein weiterer Beleg dafür, wie anspruchsvoll die Salzburger Komponisten, einschließlich Mozart, für die Bratsche geschrieben haben. Der Kontrabass, der in diesem Satz nur die Funktion der harmonischen Bassstütze erfüllt, wird im zweiten Satz, im Trio des Menuetts, gleichwertig in das musikalische Geschehen einbezogen und Michael Haydn webt mit diesen drei tiefen Streicherstimmen einen zauberhaften Klangteppich. Im kurzen, zweiteiligen Finale führen wieder die Oberstimmen und hier ist die Cellostimme ungewöhnlich virtuos.
Johann Sebastian Bach
Lermer: „Und am Ende das fulminante Sechste Brandenburgische Konzert von J. S. Bach für zwei Violen, Cello, zwei Gamben und Bass.“
Ja, es ist der krönender Abschluss dieses außergewöhnlichen Konzerts, wenn wir alle sechs Musiker bei der Wiedergabe eines Werks vereint hören können, das original für diese Besetzung konzipiert ist, wobei eine Viola und ein Cello im Original von Gamben gespielt werden.
Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) schrieb den Zyklus mit sechs Konzerten in seiner Köthener Zeit (1717 – 1723) und schloss ihn im März 1721 ab. Er nannte sie einfach Six Concerts avec plusieurs instruments. Erst 1873 verlieh der bedeutende Bachforscher und -Biograf Philipp Spitta ihnen den Namen Die sechs Brandenburgischen Konzerte. Er verwies hiermit auf die Vorgeschichte zu diesen Werken: Einige Jahre zuvor war Bach dem kunstliebenden preußischen Prinzen in Berlin begegnet, der an Bachs Spiel großen Gefallen gefunden und ihn zur Übersendung einiger Kompositionen für seine Hauskapelle aufgefordert hatte. Es war Christian Ludwig, Markgraf von Brandenburg-Schwedt, der jüngste Sohn des große Kurfürsten aus zweiter Ehe.
Bach sandte die sechs Konzerte mit einer zwar eigenhändigen, aber vermutlich von einem Höfling in Köthen verfassten Widmung am 24. März 1724 nach Berlin. Es ist nicht überliefert, wie der Markgraf das Geschenk aufgenommen hat. Nach dem Tod des Markgrafen, der 1734 mit siebenundfünfzig Jahren starb, lag die Widmungspartitur lange Zeit unentdeckt in der Bibliothek des Markgrafen. Später drohte das Bachsche Manuskript unbeachtet verschleudert und in einem Konvolut, zusammen mit anderen Instrumentalwerken für einen Spottpreis verkauft zu werden. Der ansehnliche musikalische Nachlass wurde inventarisiert und abgeschätzt. Bachs Werke fanden dabei nicht einmal eine namentliche Erwähnung. Es ist einer glücklichen Fügung zu danken, dass die Werke erhalten blieben und über Johann Philipp Kirnberger in die Bibliothek der Prinzessin Amalie von Preußen und schließlich in die Staatsbibliothek nach Berlin kamen.
Bachs bescheidene Bezeichnung Six Concerts avec plusieurs instruments lässt unter Berücksichtigung damaliger Sitte zunächst an Concerti grossi denken. Aber die sechs Kompositionen sprengen diesen Rahmen. Paradoxerweise bilden sie gerade durch ihre Vielfalt eine Einheit. Mit ihren unterschiedlichen Besetzungen und stilistischen Anlagen schuf Bach geradezu eine Enzyklopädie des damaligen Konzertgenres. Nach Meinung des Bach-Biografen Philipp Spitta haben sie „ein gemeinsames Merkmal, welches sie zu einer einzigartigen Einheit verbindet. Es ist der zur höchsten musikalischen Freiheit entwickelte concerthafte Formgedanke.“ (*3, S.737)
Bach schrieb die sechs Konzerte für ein hervorragendes Ensemble von sechzehn Musikern, die zum Teil aus der Berliner Hofkapelle stammten, die der ‘Soldatenkönig’ Friedrich Wilhelm I. 1713 aufgelöst hatte.
Abschließend möchte ich noch einmal Philipp Spitta zitieren, der zu diesem Werk schreibt: „Ein Tutti- und Solo-Gegensatz ist vorhanden (T. 1 – 17 und 17 – 25), aber nur ideal-musikalisch, nicht durch besondere Instrumente insceniert. Das Tutti besteht aus einem Canon der beiden Bratschen im Abstande eines Achteltakts, die anderen Instrumente haben dazu eine einfach harmonische Achtelbegleitung, so dass ein der Gabrieli-Bachschen Kirchensonate ähnliches Tonbild entsteht. Erst in der Solo-Periode bringt das Motiv:
alle Stimmen zu lebendiger Theilnahme. Der ganze weitausgespannte Satz ist ein seltsam verschleiertes Stimmungsbild, dergleichen wohl nur einem Bach beikommen konnte, doppelt seltsam, wenn man den ursprünglichen Zweck eines Concerts ins Auge fasst. Eine herrliche Melodie bildet das Thema des Adagio (Es-Dur, 3/2), welches nur die beiden Bratschen über den Bässen verwendet. Sie fugieren in verschiedenen Tonarten das Thema lange Zeit allein, bis es endlich mit prachtvoller Wirkung auch die Bässe ergreifen. Der endgültige Schluss erfolgt merkwürdig genug in G moll. Dieses Stück ist ungemein edel und groß. Der letzte Satz im Concertfinale im Zwölfachteltakt, kräftig ohne die Grundstimmung des ersten Satzes aufzugeben, und verlangt sehr tüchtige Bratschisten. Im allgemeinen Charakter der italienischen Gigue gehalten, hat er übrigens die dreitheilige Form, jedoch in durchweg concerthafter Ausführung.“(*4, S.743)
*1 MGGd, Musik in Geschichte und Gegenwart. Personenteil Band 7, Verlag Bärenreiter/Metzler, Kassel, 2002: Peter Niedermüller: Gesualdo, Don Carlo
*2 MGG, Sachteil, Bd. 8, 1998, David Hiley: Responsorium
*3 Philipp Spitta. Johann Sebastian Bach, 1. Band, Breitkopf&Härtel , Wiesbaden 1979